Zeit ist Gold

32 Stunden sind die neuen 40. Doch kürzer heißt nicht weniger arbeiten – nur effizienter.

Eine Sache, die wie Castingshows und Hüfthosen vielleicht in den 2000ern angesagt war, aber heute definitiv fragwürdig ist: Hustle Culture. Aussagen wie „Ich habe schon wieder das Wochenende durchgearbeitet“ bekommen – jedenfalls in meiner Bubble – schon lange kein Schulterklopfen mehr. Ständig busy zu sein und zahllose Überstunden zu machen ist nicht mehr erstrebenswert oder etwas, worauf man stolz ist. Die Generation Z ist sich einig:

Workaholism – nein danke!

Dauerstress schlägt sich auf die Gesundheit und spätestens seit den Lockdowns ist das Bewusstsein sensibilisiert und Me-Time unverzichtbar geworden. Viele haben außerdem aufgrund von Kurzarbeit (unfreiwillig) weniger Stunden gearbeitet und sind teilweise draufgekommen, dass sich die wichtigste Arbeit trotzdem ausgeht und dass es die Lebensqualität unheimlich erhöht, wenn sich mittags ein längerer Spaziergang ausgeht oder man abends Zeit hat, gemütlich was zu kochen.

Ein großer Umbruch im Leben – oder eine Pandemie – lässt bei vielen die Sinnfrage aufkommen und nicht nur Millennials fragen sich: Was ist mir eigentlich wichtig? In den USA hatte dies weitreichende Folgen: Die Great Resignation und infolgedessen die große Kündigungswelle („The Big Quit“) hat neben anderen Faktoren mit einem Wertewandel zu tun, den wir auch in Österreich beobachten. Barbara Prainsack ist Leiterin des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Wien und forscht zu diesem Thema. Sie sagt dazu: „Wir sehen deutlich, dass sich die Prioritäten von materiellen zu immateriellen Gütern verschoben haben. Freizeit und eine ausgewogene Work-Life- Balance wird immer wichtiger – und das nicht nur bei den Millennials, die sich hinsichtlich ihrer Werte zur Arbeit sowieso stark von den Boomern unterscheiden.“ Die Jüngeren wollen sich nicht schlecht behandeln lassen und ihr Leben nicht zu Gänze der Arbeit verschreiben, was zur Folge hat, dass der Wettbewerb um gute Fachkräfte auch für Arbeitgeber*innen schwieriger wird. „Unabhängig vom Alter haben wir gesehen, dass Menschen sich finanziell einschränken, um einen Job nicht mehr tun zu müssen, den sie nicht mögen. Natürlich ist das nur möglich, sofern man es sich leisten kann“, bestätigt Prainsack.

 

Univ.-Prof. Dr. Barbara Prainsack leitet das Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Sie veröffentlichte 2020 das Buch „Vom Wert des Menschen. Warum wir ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen“.

 

Die Generation Z möchte schon mal gar nicht damit starten und alle anderen wollen nicht mehr in alte Muster (sprich Vor-Corona-Hustle-Culture) zurückfallen. Das Motto der Stunde lautet: Arbeitszeitverkürzung. Menschen wollen nicht mehr 40 Stunden arbeiten. Junge, hippe Firmen müssen sowieso maximal flexibel und super easy sein und selbst deine Eltern können sich langsam mit dem Gedanken einer 4-Tage-Woche anfreunden. Aber wie sieht’s in der Realität aus? Und wie soll man bitte von einem Teilzeitjob leben, wenn es in vielen Branchen bei einer 40-Stunden-Anstellung schon knapp wird?

Hektar Nektar dazu: JA.

Das Wiener Impact Start-up mit Fokus auf Bienenschutz wurde 2017 gegründet und hat die 4-Tage- bzw. 32-Stunden-Woche in seiner Unternehmens-DNA. Gleichzeitig gibt es für alle Mitarbeiter*innen vollen Lohnausgleich – also auf Basis von 40 Stunden.

Das Unternehmen bietet nicht nur einen digitalen Marktplatz für Imker*innen sondern beschäftigt sich auch mit der Vermehrung von Bienen und schafft unter anderem mit dem PROJEKT 2028 Bewusstsein. Miriam Walch ist Head of Marketing & Communications bei Hektar Nektar und seit zwei Jahren im Unternehmen. Sie sagt zum Arbeitsmodell:

„Wir haben jede Woche langes Wochenende!“



Miriam Walch ist Head of Marketing & Communications beim Wiener Impact Start-up Hektar Nektar. Das Unternehmen hat sich dem Bienenschutz verschrieben und lebt ein Arbeitsmodell der 4-Tage-Woche.

 

Wenn man vorher eine 5-Tage-Woche hatte, weiß man das vielleicht noch ein bisschen mehr zu schätzen. Früher habe ich mir immer mal wieder einen Freitag freigenommen und wenn man das jede Woche hat, ist das schon ein irrer Luxus.“ Miriam hat nach ihrem Studium der Politikwissenschaften an der Uni Wien im Journalismus gearbeitet und ist über die PR zum Marketing gekommen. Die Vorteile von „freitags frei“ für das Team sind wohl ein No-Brainer, aber Miriam ist sich sicher, dass auch das Unternehmen von der Regelung profitiert: Die Mitarbeiter*innen kommen nach dem Wochenende erholt in die Arbeit und die Gefahr, auszubrennen oder wegen Erschöpfung mal auszufallen, fällt so gut wie weg. Als Arbeitgeber hat Hektar Nektar einen eindeutigen Vorteil im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter*innen und auch die Fluktuation ist gering. „Abgesehen davon habe ich stark den Eindruck, dass man in den 32 Stunden mehr schafft. Man darf das nicht wie 40 minus 8 Stunden rechnen. Das wichtigste in puncto effektives Arbeiten ist meiner Meinung nach sowieso die Eigenmotivation.“ Womit wir an zwei essenziellen Punkten angelangt wären:

  1.  Eigenmotiviertes Arbeiten hängt sehr stark von der Tätigkeit ab und ob man diese für sich individuell als sinnvoll einstuft, was für Millennials und junge Arbeitskräfte erheblich ist. Miriam Walch betont dazu, dass es für ihren Job bei Hektar Nektar für sie ausschlaggebender war, dass das Unternehmen seinen Beitrag zu Gemeinwohl, Umwelt- und Klimaschutz leistet, als dass es das Modell der 4-Tage-Woche gibt – was natürlich ein super Goodie ist. „Ich bin hier Teil einer Bewegung und dass ein Unternehmen ethisch einwandfrei handelt und die Tätigkeit, die man ausübt, einen Sinn ergibt, ist natürlich für viele Arbeitnehmer*innen wichtig.
     
  2. Der zweite und wohl essenziellste Punkt:

Wer in 32 Stunden so viel weiterbringen will wie in 40, muss vor allem eines sein: effizient.
 

Man könnte jetzt darüber diskutieren, wie viel man aus einer Stunde noch rausholen kann und wann hier ein natürlicher Zenit erreicht ist. Prainsack möchte festhalten, dass es nicht immer nur um Steigerung und Optimierung gehen kann. Dann bringe die Arbeitszeitverkürzung auch nichts und die Leute würden nur schneller ausbrennen.

Kürzer, nicht weniger!

Aber ganz allgemein gesprochen gibt es in den meisten Unternehmen öfter mal Leerlauf zwischendurch und bestimmt Verbesserungspotenzial, was Output und Zeitmanagement angeht. Wir müssen hier weg von dem altmodischen Gedanken: lang arbeiten bedeutet auch viel arbeiten. Wer acht Stunden körperlich anwesend ist oder am längsten im Office, hat noch lange nicht am meisten geleistet.

Barbara Prainsack betont dazu: „Das ist ein besonders wichtiger Unterschied: Es geht nicht darum, weniger zu arbeiten, sondern kürzer. Die Menschen wollen ihre Arbeit gut und effizient machen –  das ist Teil unserer Identität. Man kann das nicht auf alle Bereiche umlegen: Am Fließband ist kürzer arbeiten auch weniger. Aber in Bereichen, wo etwa Homeoffice eine Option ist, arbeiten viele vielleicht in kürzerer Zeit produktiver, weil sie konzentrierter sind.“ Auch aus zahlreichen Studien geht hervor, dass die meisten zu Hause oder unbeobachtet genauso gut oder sogar besser arbeiten. Wenn man vom Arbeitgeber/von der Arbeitgeberin diesen Vertrauensvorschuss bekommt, missbraucht man diesen nicht so leicht. Die meisten nehmen das ernst.

Flexibler und effizienter

Ein Punkt, den man im Zuge dieser Diskussion eigentlich in einem Atemzug nennen muss:

Flexibles Arbeiten erleichtert effizientes Arbeiten.
 

Wer gerade im Flow ist und besonders konzentriert, sollte ohne Weiteres abends mal länger arbeiten. Dafür wird es andere Tage geben, an denen man nicht so fit oder einfach abgelenkt ist. Es geht darum, die bestehende Zeit so gut wie möglich zu nutzen. Wer eine ausgeglichene Balance hat, wo die Life-Seite nicht zu kurz kommt, hat im Idealfall auch mehr geistige Kapazitäten, um mit einem „erholten Hirn“, wie Miriam Walch es nennt, etwas weiterzubringen. „Die Effektivität ergibt sich ja auch daraus, dass man aufgrund des freien Freitags weniger erschöpft ist – das eine bedingt für mich das andere!“

Zur Arbeitsweise bei Hektar Nektar erzählt sie: „Wir arbeiten alle sehr eigenverantwortlich, strukturiert und selbstorganisiert. Das wird auch von jedem erwartet und meiner Meinung nach sollte das überall so sein. Wir haben flache Hierarchien, daher müssen nicht immer so viele Leute bei einer Entscheidung mitreden. Wir sind nicht in Schleifen gefangen, wie viele gerade größere Unternehmen.“

Die Kernarbeitszeit ist bei Hektar Nektar mit Montag bis Donnerstag festgelegt. Da das Team sehr verzahnt arbeitet, wird Homeoffice von den meisten auch nur in Anspruch genommen, wenn es mit der Familie oder mit Terminen praktischer ist. Miriam arbeitet lieber vom Büro aus, weil ihr der informelle Austausch mit Kolleg*innen wichtig ist. Man muss auch nicht überall so weit gehen wie das amerikanische Patentamt, das Teil einer Studie zum Thema flexibles Arbeiten war. Barbara Prainsack nennt diese als Beispiel für die gesteigerte Loyalität den Arbeitgeber*innen gegenüber, sobald es mehr Freiheiten gibt. Im Patentamt wurde die „work-from-anywhere policy“ eingeführt, was es Arbeitnehmer*innen sogar ermöglicht hat, an andere Orte zu ziehen, ohne ihren Job aufgeben zu müssen. Die Regelung hatte keinen Produktivitätsverlust zur Folge, was darauf hindeutet, dass Menschen sich durchaus loyal und dankbar einem Unternehmen gegenüber zeigen. Natürlich gibt es in jeder Branche „Owezahrer“, wie Prainsack es ganz wienerisch nennt. Diese würden aber nur einen sehr kleinen Teil ausmachen und

den meisten Menschen sei ihre Arbeit nicht „wurscht“.
 

Ein weiteres Gegenargument, das man oft hört: Ein*e Lehrer*in kann nicht einfach eine Stunde später anfangen oder ein*e Krankenpfleger*in bringt nicht auf einmal doppelt so viele Patient*innen in ihrem/seinem Dienst unter. Barbara Prainsack meint dazu: „Das stimmt natürlich. Maximale Flexibilisierung und Effizienzsteigerung ist in vielen Bereichen nicht so einfach möglich. Arbeitszeitverkürzung aber durchaus.“ Der Dienst des Pflegepersonals wäre dann einfach kürzer oder weniger oft in der Woche, was nicht nur Vorteile für die Arbeitnehmer*innen hätte, sondern gleichzeitig mehr Arbeitsplätze schafft.

Zugegeben, hier haben wir jetzt ein großes Fass aufgemacht, also können wir auch gleich noch etwas weiterphilosophieren: Was wäre, wenn niemand mehr aus finanzieller Not einen unterbezahlten Job annehmen müsste oder man auch von einer Teilzeitanstellung gut leben könnte?

Ich sage nur: bedingungsloses Grundeinkommen!

Barbara Prainsack ist Expertin auf diesem Gebiet und eine Befürworterin des bedingungslosen Grundeinkommens – in einer bestimmten Konstellation, wie sie betont. Bei diesem Thema halten sich hartnäckig Mythen, wie dass die Menschen dann nicht mehr arbeiten würden, obwohl dies durch zahlreiche Studien bereits widerlegt wurde. Man könne vom Grundgehalt nicht (gut) leben, aber es würde der/dem Einzelnen Sicherheit geben für Übergangsphasen im Leben, Armutsgefährdung reduzieren, viele Frauen unabhängiger machen und in weiterer Folge wäre es leichter möglich, die eigene Arbeitszeit zu verkürzen. Bevor wir hier aber zu euphorisch werden, konzentrieren wir uns lieber auf Tatsachen, die wir aktiv mitgestalten und in der Gegenwart verändern können:

Also redet mit euren Vorgesetzten!
 

Prainsack macht Mut: „Viele Arbeitgeber*innen sind sehr offen für Weiterentwicklung, wenn sie mit der Arbeit von Mitarbeiter*innen zufrieden sind!“ Nun, fragen kostet nichts. Ich riskiere eine engagierte Aufforderung: Lassen wir endlose Bürotage, sinnloses Zeit-Absitzen im Büro und unbezahlte Überstunden – genau wie Hüfthosen – hinter uns!


Text von Anna Gugerell
Illustrationen von Christin Künig. 

Der Artikel ist im Karrieremagazin RISE erschienen. 



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